DisplayEurope.euEine föderierte europäische Öffentlichkeit

DisplayEurope.eu verspricht „Europäische Nachrichteninhalte ohne Grenzen. In deiner Sprache.“ Dafür setzt das Portal konsequent auf föderierte Inhalte, Open-Source-Technologie und Creative-Commons-Lizenzen. Und es könnte Maßstäbe setzen für eine europäische Öffentlichkeit.

Fahnen vor dem EU-Parlament in Straßburg.
Viele Fahnen, viele Sprachen. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Lukas S

Auch mehr als dreißig Jahre nach Gründung der EU ist eine wirkliche europäische Öffentlichkeit nicht erkennbar. Das Portal DisplayEurope.eu will hier Abhilfe schaffen und zugleich zeigen, wie eine dezentrale mediale Informationsversorgung aussehen kann. Am vergangenen Donnerstag hat es einen umfassenden Relaunch erhalten.

Display ist zweierlei: zum einen ein journalistisches Portal und zum anderen eine technische Infrastruktur. Als journalistisches Portal richtete es sich vorrangig an Endnutzer:innen in der EU. Als technische Infrastruktur hat sich das Projekt offener und freier Technologie und den Creative Commons verschrieben.

Um die Inhalte der föderierten Partner zu übersetzen und zu kuratieren, kommt auch sogenannte Künstliche Intelligenz zum Einsatz. Sławek Blich, der Leiter des redaktionellen Produktteams, sieht Display daher als „erste KI-gestützte paneuropäische Plattform für das Kuratieren, Übersetzen, Entdecken und Empfehlen von europäischem Journalismus aus dem gesamten Kontinent“.

Zwei Arten von Inhalten

Die Inhalte auf DisplayEurope.eu stammen von zahlreichen Medienpartnern aus ganz Europa. Das sind zum einen Originals-Beiträge, die das Projekt selbst finanziert. Dazu zählt das Flaggschiff „Standard Time“, die wöchentliche Talkshow von Réka Kinga Papp, Chefredakteurin von Eurozine, einer Plattform europäischer Kulturzeitschriften. Weitere Originals stammen von dem polnischen Netzwerk Krytyka Polityczna in Warschau und dem Online-Medium Voxeurop, das pan-europäische Presseschauen beisteuert.

Dem Copyleft-Geist folgend sind die für Display Europe erstellten Originale unter Creative Commons BY lizenziert. Sie dürfen also umfassend weiterverwendet werden, sofern die Urheberin genannt wird. Auch die technische Umsetzung des Projekts erfolgt komplett mit Open-Source-Technologie. Software, die Display entwickelt, wird ebenfalls unter Open-Source-Lizenzen veröffentlicht.

Neben den Originals veröffentlicht Display kuratierte Inhalte aus einem föderierten Netzwerk. Inhalte-Partner sind entweder journalistische Outlets wie Eurozine und Okto-TV in Wien oder Aggregatoren wie CBA oder XRCB in Spanien.

Vom Cultural Broadcasting Archive zu Display

Wer aber sind die Macher des Projekts? Eine tragende Säule von Display ist CBA, das Cultural Broadcasting Archive. Die Plattform wurde 1999 in Wien ins Leben gerufen und ist Infrastruktur und Dienstleister in einem. Denn CBA stellt zum einen Sendungen von Freien Radios und anderen Community-Medien zum Download bereit. Zum anderen bietet das Archiv Radiostationen Webhosting und die Entwicklung von Software an.

Im Frühjahr 2023 erhielt CBA den Zuschlag bei einer Ausschreibung für Europäische Medienplattformen. Die Aktiven hinter dem Archiv konnten ihr Glück damals kaum fassen. Denn zuvor hatten die European Broadcasting Union (EBU), der Fernsehsender ARTE und ein Zusammenschluss von Nachrichtenagenturen den Zuschlag bekommen.

In der ersten Förderphase von Juli 2023 bis Juni 2024 erhielt das Display-Projekt eine Fördersumme in Höhe von insgesamt 2,5 Millionen Euro. Von dem Geld baute CBS ein Medienportal auf, das Inhalte in 15 verschiedenen europäischen Sprachen bereitstellte. Inwischen hat das Projekt die Zusage für eine weitere einjährige Förderphase erhalten, an deren Anfang der Relaunch des Portals vom vergangenen Donnerstag steht.

Inhalte werden in 15 Sprachen übersetzt

Die wichtigste Anforderung der EU-Ausschreibung lautet, dass alle Inhalte in 15 Sprachen ausgespielt werden. Die wichtigsten, eigens für Display produzierten Beiträge werden derzeit händisch übersetzt. Für alles andere hat das Display-Team im Vorfeld verschiedene Übersetzungssysteme wie Google Translate, Whisper und DeepL getestet.

Diese Systeme arbeiten zwar nicht fehlerfrei, doch das Projekt ist auf automatisierte Übersetzungen angewiesen. „Das ist anders nicht zu bewerkstelligen“, sagt Baratsits gegenüber netzpolitik.org. „Wenn es nicht nur ein paar Beiträge in der Woche gibt, sondern Tausende, skaliert das nicht.“ Auf dem Repositorium von Display liegen derzeit mehr als 224.000 Inhalte.

Daher arbeitet das Team daran, mithilfe von offenen, großen Sprachmodellen (LLM) ein eigenes Übersetzungssystem aufzubauen. Das soll dann auch für die sprachunabhängige Suche zum Einsatz kommen. Ingo Leindecker, der technischer Leiter von Display, sagt, dass Open-Source-LLMs die Kosten etwa um den Faktor zehn senken würden.

Der Datenraum hinter Display

Dass die Inhalte der zahlreichen Medienpartener auf Display veröffentlicht werden, dafür sorgt der Repco, der den Kern der Display-Infrastruktur bildet. Repco steht für „Replication & Collector“ und bildet den Aggregator und Datenraum von Display. Das System importiert automatisch die Inhalte, die Medienpartner auf ihren Websites veröffentlichen. In vielen Fällen erfolgt der Import einfach über RSS-Feeds.

Repco ist wie auch das Portal Display selbst als Instanz in einem dezentralen Netzwerk konzipiert. Andere Nutzer:innen können ebenfalls eigene Repco-Knoten betreiben und entscheiden, welche Inhalte sie veröffentlichen wollen und welche Moderationsregeln dort gelten.

Auf dem Weg zum automatisierten Vorschlagssystem

Was auf dem Portal als Volltext mit Übersetzung erscheint, muss derzeit von Community-Redakteur:innen manuell aus dem Repco geholt und eingepflegt werden. Dieses Verfahren soll in der zweiten Phase durch ein automatisiertes Vorschlagssystem ersetzt werden.

Trotz Algorithmus soll es aber auch weiterhin redaktionelle Eingriffsmöglichkeiten geben, etwa um nach bestimmten Themen oder nach Aktualität zu sortieren. „Alles, was den Algorithmus verfälschen kann, wollen wir zu einer bewussten User-Entscheidung machen“, sagte Leindecker gegenüber netzpolitik.org. „Der User soll die Kontrolle haben über die Personalisierung. Transparenz steht ganz oben.“

Pläne für die zweite Phase

Anlässlich des Relaunches kündigte Sławek Blich, der stellvertretende Chefredakteur von Krytyka Polityczna und neue Leiter des redaktionelle Produktteams von Display, außerdem an, die bisherige redaktionelle Strategie weiterzuentwickeln: Zum einen werde es weiter eigens für Display produzierte Inhalte geben. Zum anderen soll das Netzwerk föderierter Partner ausgebaut werden.

„Für sie werden wir eine einfach zu handhabende Lösung entwickeln, mit der ihre Inhalte syndiziert, entdeckt, gesucht, empfohlen, mit KI für internationale Zielgruppen kontextualisiert und in mehrere europäische Sprachen übersetzt werden können“ so Blich. „Und das Beste daran: Der Traffic kommt zurück auf die Website der Partner und diese erhalten Zugang zu einem ganz neuen Publikum, das sie sonst nie finden würde.“

Ein neuer Standard für europäische Medien?

Während Display seinen eigenen Datenraum ausbaut, wird es bereits Teil eines europäischen. Im Rahmen ihrer Datenstrategie hat die EU den Aufbau von 14 gemeinsamen europäischen Datenräumen für verschiedene Sektoren auf den Weg gebracht. Für den Mediensektor ist das der Trusted European Media Data Space (TEMS).

Display ist Teil von TEMS – als einer von 40 Partnern. Darunter sind Schwergewichte wie die Nachrichtenagentur AFP, die European Broadcasting Union (EBU) oder das französische Telekommunikationsunternehmen Orange. TEMS ist im Oktober 2023 gestartet und betreibt derzeit acht Pilotprojekte, unter anderem zu Nachrichten und Faktenchecks, Personalisierung und Empfehlungen, Produktion und Rechtemanagement sowie 3D und VR.

Aufgrund der Zusammensetzung zeichnet sich im TEMS ein Kultur-Clash ab: freie Inhalte und Software versus proprietäre Angebotsmodelle. So möchte die EBU ihre Sprach- und Empfehlungstechnologie im Datenraum unter einer proprietären Lizenz anbieten. Die sprachübergreifende Suche von Display kann hingegen frei genutzt werden.

Im besten Fall aber könnte aus der TEMS-Koalition auch eine europäische Medieninfrastruktur entstehen, die der Eurovision der EBU gleicht. Die Eurovision kennen viele nur vom Eurovision Song Contest. Tatsächlich aber ist es ein Netzwerk aus Satelliten, Kabeln, Standards und Vereinbarungen, über das die EBU-Mitglieder Nachrichten, Musik und Podcasts austauschen.

„Die Technologie dafür steht ja zur Verfügung,“ betont Baratsits. „Im Prinzip kann jeder eine Instanz hinstellen und dann bestimmen, welche Inhalte im Newsfeed-Format mit den jeweils gewünschten Features angeboten werden.“ Baratsits hofft, dass dies das der Standard für europäische Medien werden könnte – ein Standard, „der föderiert ist und den Bedarf nach vertrauenswürdigen Informationen decken kann.“

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10 Ergänzungen

  1. Man bemerkt auf jeden Fall die automatischen Übersetzungen.
    Beispiel:

    „Fremde weg!“ – singt die lächelnde junge Blondine zum Refrain von L’amour toujours Gigi D’Agostino. […] Ein anderer Mann, höchstens dreißig Jahre alt, macht den römischen Gruß

    Also ja, wir wissen was gemeint ist, aber einen Pulitzerpreis wirds dafür wohl erstmal nicht gleich geben…

  2. Sehr interessant, danke für den Hinweis.
    Mich würde interessieren nach welchen Kriterien sie die 15 Sprachen ausgewählt haben und ob sie noch nachlegen wollen, denn da sind einige blinde Flecken: Es fehlen sämtliche Sprachen Nordeuropas, des Baltikums und aus Südosteuropa/Balkan (ausgenommen Griechisch). Da es sich um eine EU-Ausschreibung handelt, hätte ich schon erwartet, dass zumindest die EU-Sprachen dabei sind.

    1. Eines der Grundprobleme mit einer europäischen Öffentlichkeit ist die fehlende gemeinsame Sprache. Nicht ohne Grund gibt es hier keinerlei Bewegung, denn eine umfassende europäische Öffentlichkeit wäre für die Politiker in EU und Mitgliedstaaten sehr unbequem.

      In Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und den privilegierteren Teilen der Bürger hat man das Problem natürlich schon lange mit Englisch gelöst.

      1. … war aber nach dem EU-Austritt es englischen Sprachraums auch keine vertretbare Lösung mehr ist. Zudem ist ein Beharren auf einer „gemeinsamen Sprache“ ein Zukunftsprojekt zur Schaffung einer EU-Pidgin-Sprache, weil dem Esperanto die ungarische Sprachwolke für rassistisches Hetzen gegen alles europäische fehlt.

        1. Wäre mir neu, dass Irland aus der EU ausgetreten ist.

          Abgesehen davon ist es schlicht egal: die Weltsprache in Wirtschaft und Wissenschaft ist Englisch, die primäre internationale Umgangssprache in Europa und der EU ist Englisch, und alles andere behindert nur eine einfache Verständigung und Diskurs. Was natürlich das Ziel vieler Vorschläge ist.

          Esperanto ist ein Projekt wie Kernfusion: sehr nett, aber wir brauchen jetzt etwas funktionierendes und wir haben die Lösung.

          1. > wir brauchen jetzt etwas funktionierendes und wir haben die Lösung.

            Spanisch ist eine funktionierende Sprache, die nicht weniger weit verbreitet ist.
            Und wer ist den schon „wir“?
            Ist es die Arroganz jener, die ihre Macht dazu benutzt, anderen eine Sprache aufzudrängen?
            Englisch für alle – ein neokolonialistisches Sprachprojekt, Kulturprägung inklusive?

          2. Der vermeintliche Zwang zur kulturellen Anpassung alleine durch die Sprache ist eine Illusion. Ich arbeite und lebe seit über 20y in einem sehr internationalen Umfeld mit Schwerpunkt in Europa, meine Kollegen und Kunden sind so verteilt wie meine Bekannten und Freunde. Die gemeinsam genutzte Zweitsprache macht den spanischen Kollegen in Madrid nicht weniger spanisch, weder im Habitus noch im Ausdruck. Und Englisch Muttersprachler können mich oft nicht plazieren: „I’m from the Internet, that’s why you can’t place my accent“.

            Wenn man das gewohnt ist, sind die Vorbehalte nicht mehr nachvollziehbar. Und die Nachteile ohne gemeinsame Sprache nicht mehr akzeptabel.

            Wer’s nicht kann, spielt halt nicht mit oder nur mit Handicap. Wer’s nicht anders will, dürfte sich halt nicht über mangelnde Teilhabe beschweren. Aber rumnörgeln ist natürlich am einfachsten, wenn man sich gar nicht einbringen will.

            „Spanisch ist eine funktionierende Sprache, die nicht weniger weit verbreitet ist“ ist halt Quatsch, die reine Zahl der Sprecher interessiert in dem Kontext nicht. Europa ist nicht Lateinamerika, und Lateinamerika ist nicht die Welt.

          3. Was glauben Sie, warum Netzpolitik.org mittlerweile wichtige Beiträge auch in Englisch veröffentlicht?

            Was glauben Sie, warum so viele Vorträge, Diskussion und Workshops auf Chaos Congress und Camp mittlerweile in Englisch sind?

            Was glauben Sie, warum jede europäisch agierende NGO jedenfalls auch in Englisch arbeitet und veröffentlicht?

            Was glauben Sie, wie man eine europäische Öffentlichkeit ohne das Kommunikationswerkzeug einer gemeinsamen (idR Zweit)Sprache etablieren kann?

            In den 80ern und 90ern war Sprache durchaus ein grosses Thema im Kontext EU. Die Macht- und Funktionseliten führen diese Diskussion mittlerweile nicht mehr, die haben das schlicht gelöst.

            Ein internationales Umfeld, in dem die große Mehrheit Englisch als Zweitsprache und Mittel zum Zweck verwendet, unterscheidet sich übrigens massiv von einem muttersprachlichen Umfeld mit wenigen Einwanderern und ein paar Anglistikstudis. Und auch meine first generation immigrants Kollegen in USA und Canada klingen sehr herkunftsspezifisch.

        2. „Zudem ist ein Beharren auf einer „gemeinsamen Sprache“ ein Zukunftsprojekt“

          Das ist ein fataler Irrtum: die Eliten in Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung, Kultur und Politik haben und nutzen bereits eine gemeinsame Sprache: Englisch. Ich lebe das seit mehr als 20 Jahren.

          Die Masse der Bürger hat das nicht, und das ist ein massiver Nachteil für gesellschaftliche und demokratische Teilhabe auf EU-Ebene.

      2. Das ist uebrigens auch ein Totalversagen des europa-freundlichen deutschen Bildungsbuergertums: da ist man so stolz auf seinen Distinktionsfaktor der kultururell qualifizierten Mehrsprachigkeit moeglichst nahe am jeweiligen Muttersprachler, dass man die internationale Funktion einer globalen Kommunikationssprache vernachlaessigt. Von der arroganten Ablehnung der de facto Weltsprache Englisch als solche mal ganz abgesehen.

        Wer in einem internationalen Umfeld in Wirtschaft oder Wissenschaft arbeitet, spricht idR eine Art internationales Englisch, denn kulturell wie sprachlich unterscheiden sich zB US English, British English, Scottish English, Australian English, Indian English und diverse African English dann doch merklich. Da werden durchscheinende Eigenheiten lokaler Sprache und jeweiliger kultureller Hintergrund als ganz natuerlich angesehen, das muss niemand deswegen aufgeben.

        Wer sehen moechte, was geht, schaue sich die Skandinavischen Laender und Teile des Baltikums an, oder jede Menge multhiethnischer afrikanischer Staaten.

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